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KARL MARX AUF WESTREISE

Berliner Zeitung, 7 oktober 2003
Nicolaus Bernau

Im niederländischen Monnickendam sammelt und zeigt ein Ehepaar Alltägliches aus der DDR. Auch ein Gastgeschenk Honeckers steht in den Vitrinen

MONNICKENDAM, im Oktober. “Sind Sie Kommunisten?” Friso de Zeeuw lacht laut auf, seine Frau Thea schmunzelt. Sie sitzen in Art-déco-Sesseln unter kämpferischen Plakaten der niederländischen Arbeiterbewegung, kostbare Einzelstücke aus den zwanziger Jahren. Käsehäppchen und Weißwein stehen auf dem Tisch, wohl geordnete Bürgerlichkeit in Monnickendam, zehn Kilometer nördlich von Amsterdam. “Nein, der Kommunismus war uns immer fern. Ich bin Sozialdemokrat, sogar eher vom rechten Flügel”, sagt de Zeeuw. Und doch hat er in den vergangenen dreizehn Jahren eine bedeutende Privatsammlung zur Kulturgeschichte der DDR aufgebaut. Vor drei Jahren hat er dann für sie die “Stiftung DDR-Museum” gegründet und die Garage des Wohnhauses umgebaut, um die Sammlung zeigen zu können.

1985 war Friso de Zeeuw das erste Mal in Ost-Berlin, seither immer wieder, die Zeit der Wende erlebten er und seine Frau mit Freunden in Thüringen. Schon früh fügte de Zeeuw, der als Projektentwickler einer niederländischen Baufirma arbeitet, seiner Mützensammlung eine Militärhaube der NVA bei – die stellte sich allerdings später als gefälscht heraus. Sein Interesse am Sammeln minderte das nicht, und sein Blick wurde weiter. “Wenn man Interesse für die Geschichte des Alltags hat, dann kann man das an der DDR gut machen. Die hat einen Anfang und ein Ende – das gibt es nicht oft in der modernen Geschichte.”

Aus der Mülltonne
De Zeeuw liebt es, seine Sammlung vorzuführen. Viermal im Jahr öffnet das kleine Museum zu einem Tag der offenen Tür. Der Eintritt ist frei, Spenden werden gerne genommen. Lenin in Bronze und das Sandmännchen in Stoff, Kameras der Marken Exakta und Practica werden gezeigt. Neben einem Kontrollkoffer vom Grenzübergang Invalidenstraße liegen der passende Stempel und die Visa. Nicht weit entfernt ist der Aufnäher “Schwerter zu Pflugscharen” zu sehen. Ihn zu tragen, konnte Gefängnis bedeuten, liest man auf der Erklärungstafel.

Direkt nach dem Mauerfall 1989 haben die de Zeeuws begonnen, auf Flohmärkten Objekte zu kaufen, etwa einen Ehrendolch der NVA. Die Auszeichnung eines Leipziger Pelzhändlers für das schönste Schaufenster der Stadt rettete Thea de Zeeuw aus einer Mülltonne. Schnell wandte sich das Interesse der Niederländer vom Militärischen der Alltagskultur zu, den ziellos werbenden Einpackpapieren – “Meine Mutti kauft hier” – oder jenem eleganten Elektro-Rasierapparat, den der Schwermaschinenhersteller Bergmann-Borsig nebenbei produzierte. Für einen Trabant ist noch kein Platz im Museum, ein Modellauto muss genügen.

Mehr als hundert Menschen kamen beim letzten Tag der offenen Tür nach Monnickendam. Eine Art Ostalgie in Holland? “Ja das gibt es ein wenig und das wird wohl mehr, wenn ,Good Bye, Lenin! im November in Rotterdam anläuft”, sagt de Zeeuw. Gerade die Jungen sähen die DDR oft als ein gemütliches Reservat mit Riesenspaß beim Schlangestehen. Und wenn Museumsbesucher das Radio in rotem Plastik entdecken, fragen sie schon mal, wo man so etwas noch kaufen kann. Das Design der sechziger und siebziger Jahre hat in der DDR bis zu deren Ende die Warenkultur bestimmt, jetzt ist es wieder Mode, also ist auch die DDR hip.

Geschichtsneid
Mit historischer Erkenntnis hat das nichts zu tun, aber die Retro-Welle kann zu ihr führen. Der Osten insgesamt ist chic in den Niederlanden. Berlins Rauheit, selbst die schweren Probleme mit Finanzen und Wirtschaft erscheinen in den Niederlanden wie das Leben selbst: “Wir haben doch fast keine dramatische Geschichte”, sagt de Zeeuw.

Dennoch: Die DDR war den Sammlern als Staat nicht sympathisch. Thea de Zeeuw erinnert sich an die unheimlichen Grenzkontrollen, daran, dass sie gefühlt habe, dass die Menschen Angst hatten: “Sie haben nicht sagen können, was sie wollten.” Aber empfanden nicht viele Niederländer die DDR als Alternative zur hassgeliebten, großen, reichen Bundesrepublik? Eine niederländische Ministerin sprach einmal von der “historischen Notwendigkeit” der Mauer. Friso de Zeeuw ist sich sicher: Nur wenige Holländer sahen die DDR als den besseren deutschen Staat an, auch wenn weite Übereinstimmung herrschte bei ihrer Anerkennung. “Das war eine Sache des Pragmatismus”.

An der Wand des kleinen Museums hängt ein Titelblatt der DDR-Illustrierten “NBI” mit Erich Honecker auf einem Ausflugsschiff in Amsterdam. 1987 kam er zum Staatsbesuch, musste sich Klagen anhören wegen der Menschenrechtspolitik. Und selbst mit den Kommunisten kam Honecker nicht aus. Die Stimmung beim Treffen im Kurhaus von Scheweningen war frostig damals. Denn die KP der Niederlande befand sich auf dem besten Weg zu einer linken demokratischen Partei, die Kluft zur SED war kaum zu überwinden. Das Gastgeschenk Honeckers, eine Statue von Karl Marx, interessierte jahrelang niemanden. Jetzt kann man sie besichtigen, denn im Sommer dient sie zwar auf dem Balkon eines früheren holländischen ZK-Mitglieds weiterhin als Gartenzwerg, doch im Winter ist sie nun im DDR-Museum in Monnickendam ausgestellt.

MUSEUM MONNICKENDAM Abgeschlossenes Sammelgebiet – DDR-Alltag in Monnickendam.