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DIE GANZE DDR IN EINER GARAGE

Niederländisches Sammlerpaar stellt mehr als 2000 “Ostprodukte”
im seinem privaten Museum aus

Die Welt, 22 april 2006
Jan Kanter

Amsterdam – Rund 16 Millionen Menschen, ziemlich genau 40 Jahre und ein ganzes Land finden in einem Dutzend Glasvitrinen Platz. Viel mehr Stauraum braucht es nicht, um die Geschichte der DDR aus der Sicht ihrer Bürger zu erzählen. Caro-Zigaretten, Mitropa-Tassen und Florena-Handcreme berichten vom Konsum, Ehrenurkunden, Orden und Medaillen von den verqueren Leistungsanreizen des Systems. Ausgewählte Briefe und Akten geben über das Spitzelsystem der Staatssicherheit Auskunft. Es sind 21 Quadratmeter Deutschland – zusammengetragen in einer Garage in dem kleinen niederländischen Örtchen Monnickendam, rund eine Viertelstunde Autofahrt außerhalb Amsterdams.

Es ist eine doppelte Zeitreise. Die erste führt aus der lebendigen, bunten Metropole Amsterdam unter dem großen Wasser hindurch in die niederländische Provinz, die unmittelbar nördlich des Ij, das Amsterdam durchschneidet, beginnt. Die erste Etappe der Reise endet vor einem flachen Einfamilienhaus in einer Siedlung am Wasser, die an die heile Welt der frühen achtziger Jahre erinnert. In diesem Haus leben Friso de Zeeuw und Thea Grijsen.

Durch einen großen Raum, der Interesse an Design und beruhigenden Wohlstand verrät und gemeinsam Wohnzimmer und Küche beherbergt, geht es durch eine niedrige Tür zu einer umgebauten Garage. Dort beginnt der zweite Teil der Zeitreise. Etwa 1000 Alltagsgegenstände, Briefe und Dokumente der offiziellen und privaten DDR hat das Ehepaar in Glasvitrinen, an den Wänden und auf dem Fußboden ausgestellt. Noch einmal die gleiche Anzahl an “Ostprodukten” liegt verpackt in Kisten auf dem Dachboden.

“Es war sehr faszinierend. Die DDR war so nah und doch so anders. Schon der Geruch änderte sich unmittelbar, wenn man die Grenze übertrat”, erinnert sich Friso de Zeeuw an seinen ersten DDR-Besuch 1985. Die Attraktion des Exotischen im Herzen Mitteleuropas, dessen Sprache er – wie viele Niederländer – dennoch ohne größere Probleme verstehen konnte, lockte forthin.

Nach dem Fall der Mauer reiste der Manager eines großen Bau- respektive Immobilienunternehmens zusammen mit seiner Frau regelmäßig nach Berlin und dort in die östlichen Bezirke. Beide erlagen zunächst einer harmlosen Sammelleidenschaft. Aus der anfänglichen Neugier auf das ungewohnte Design wurde eine regelrechte Wut, eine beinahe fiebrige Jagd nach allem, was authentisch ostdeutsch schien. “Es ist ein aus dem Ruder gelaufenes Hobby”, gibt de Zeeuw zu.

Die Niederländer, selbst die besonders Durchschnittlichen, sagen von sich selbst mit einem gewissen Stolz, bisweilen “gek”, verrückt zu sein. Nur so läßt sich vermutlich erklären, daß die selbsternannten Historiker regelmäßig ihr Häuschen im Grünen öffnen, um wildfremden Menschen bis hin zu ganzen Schulklassen den Weg in ihr Museum zu ermöglichen.

Es gibt viermal im Jahr einen “Tag der offenen Tür”, und ansonsten reicht ein Anruf oder eine E-Mail, um die Memorabilien des untergegangenen sozialistischen Deutschlands bestaunen und unter den ebenso wachsamen wie strengen Blicken der Eigentümer vorsichtig anfassen zu dürfen. Noch hält sich der Ansturm jedoch in Grenzen: 250 Besucher hat die Familie de Zeeuw im vergangenen Jahr gezählt. Allerdings betreibt das Paar abgesehen von seiner Internet-Seite auch keine Werbung für das Garagenmuseum.

Die Motivation der Eheleute für ihr ungewöhnliches Hobby ist vielschichtig: Das kindlich-naive “Uiih, guck mal, wie häßlich” spielt eine Rolle, Faszination für lebendige Geschichte – aber auch Respekt. Eine Achtung nicht im Sinne ewiggestriger Verklärung eines sozialistischen Alptraums, sondern als Würdigung der Menschen, die dort ihren Alltag bestreiten mußten. “Das Spannende ist die Vielschichtigkeit der Gesellschaft”, sagt Friso de Zeeuw.

Mit seiner Begeisterung für Berlin steht das Monnickendamer Ehepaar in den Niederlanden nicht allein. Seit der Wiedervereinigung rückt Deutschland wieder stärker in den Fokus der Holländer, die ihren Nachbarn in der jüngeren Vergangenheit nicht immer mit inniger Zuneigung begegneten. Das Berliner Landesamt für Statistik zählt die Niederländer, die einige Jahre nach den Deutschen von der großen Ostalgiewelle erfaßt wurden, im vergangenen Jahr unter den registrierten Touristen als drittstärkste Besuchergruppe. Zuletzt drohte sogar der Vorzeige-Intellektuelle Harry Mulisch nach dem Mord an dem niederländischen Regisseur Theo van Gogh, sein Land Richtung Berlin zu verlassen. Auch Friso und Thea de Zeeuw haben eine Zweitwohnung in (Ost-)Berlin.

Der Manager und Hobbyhistoriker hat hochfliegende Pläne. In der nächsten Zeit will er in den Niederlanden ein Buch über die DDR und seine Sammlung herausbringen, auch ein richtiges Museum will er für seine Exponate finden. Ob das der Ausstellung guttut, ist allerdings fraglich.

Ein großer Teil des Charmes der Garagen-Sammlung, die sich vor den forschenden Augen Wirtschafts- und Sozialhistoriker in einer eingehenden Analyse erst noch beweisen müßte, liegt in dem improvisierten Charme des scheinbar wahllos Aufgehäuften. Auch und vor allem in der vergänglichen, scheinbar nicht auf Dauer angelegten Existenz gleicht die Ausstellung dem Gegenstand ihres Interesses.