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DER STEIFE MARX

Museumjournal, oktober 2004
Nikolaus Bernau

Weniger nach DDR auszusehen als diese bürgerlich-sittliche Umgebung einige Kilometer nördlich von Amsterdam, mitten im so genannten Waterland, das ist kaum vorstellbar. Und doch befindet sich hier, im properen, offenkundig wohlhabenden Kleinstädtchen Monnickendam in einer Garage neben einem Wohnhaus aus den achtziger Jahren, wohl das einzige DDR-Museum außerhalb Deutschlands.

Der Blick schweift aus dem sauber mit Fußbodenfliesen ausgelegten, aufgeräumten Wohnzimmer mit seinen erlesenen Art-Deco-Möbeln über einen schmalen Flußslauf hin zu flachen Poldern mit Kühen und Weiden am Wasser. An den Wänden hängen kämpferische Plakate der niederländischen Arbeiterbewegung, kostbare Originale der 20er und 30er Jahre, ordentlich gerahmt; Käsehappen und Weißwein stehen auf dem Tisch. Auf die Frage, ob sie jemals Kommunisten gewesen sind, lachen der Sammler Friso de Zeeuw und seine Frau Thea laut auf. Er sei eher vom rechten Flügel der Sozialdemokraten. Und doch sammelt er seit 14 Jahren zur Kulturgeschichte der DDR; vor vier Jahren wurde die »Stiftung DDR-Museum« gegründet und die Garage des Wohnhauses als Ausstellungsraum umgebaut.

1985 war Friso de Zeeuw das erste Mal in Ost-Berlin, gewann Freunde in der DDR, die Zeit der »Wende« der SED erlebten er und seine Frau in Thüringen. Die DDR wurde innerhalb kürzester Zeit eine abgeschlossene Phase der Geschichte, ein Idealfall für begeisterte Sammler. Und das ist de Zeeuw zweifellos, der als Direktor einer der größten niederländischen Bauträger arbeitet. Schon 1990 fügte er seiner damaligen Mützensammlung eine Militärhaube der NVA bei – die stellte sich allerdings später als gefälscht heraus. Im Laufe der Jahre wurde der Blick weiter: »Wenn man Interesse für die Geschichte des Alltags hat, dann kann man das an der DDR gut machen. Die hat einen Anfang und ein Ende – das gibt es nicht oft in der modernen Geschichte.«

Vier Mal im Jahr öffnet das kleine Museum zu einem Tag der offenen Tür. Der Eintritt kostet nur 2,50 €, Spenden werden gerne genommen. Lenin in Bronze, als Plakette und als Plakat, das unvermeidliche Sandmännchen in Stoff, Kameras der Marken Exakta und Practica werden gezeigt. Neben einem Kontrollkoffer vom Grenzübergang Invalidenstraße liegen der passende Stempel und die Visa. Nicht weit entfernt ist der Aufnäher »Schwerter zu Pflugscharen« zu sehen. Ihn zu tragen, konnte den Gang ins Gefängnis bedeuten, liest man auf der kleinen Erklärungstafel. Der größte Teil der Sammlung ist im »Depot« – vulgo auf dem Dachboden. Die etwa 250 ausgestellten Objekte sind meist in Glasvitrinen mit Aluminiumprofilen aufgestellt, manches liegt auf kleinen Podesten, Spotlights erhellen den Raum. Eine wirkliche Ordnung ist kaum erkennbar, auch wenn Gerätschaften aus dem Haushalt, Spielzeug, Ehrenzeichen für verdiente Mitarbeiter, Hauskollektive oder Parteimitglieder zusammenliegen. Eine Privatsammlung eben, die erst dann zum Leben erwacht, wenn der Besitzer die Tür von der Küche aus öffnet und erzählt, woher welches Objekt kommt, welche Geschichte es hat.

Direkt nach dem Mauerfall 1989 haben die de Zeeuws begonnen, auf Flohmärkten Objekte zu kaufen, etwa einen prachtvollen Ehrendolch der NVA. Schnell aber wandte sich das Interesse der Niederländer vom Militärischen der Alltagskultur zu, den ziellos werbenden Einpackpapieren – »Meine Mutti kauft hier« – oder jenem eleganten Elektro-Rasierapparat, den der Schwermaschinenhersteller Bergmann-Borsig nebenbei produzierte. Solche Gegenstände sind bestens geeignet, um den Zusammenbruch der DDR-Wirtschaft an Ihren unsinnigen Arbeitsstrukturen zu erklären, die auch durch elegantes Design nicht ausgeglichen wurden. Die Auszeichnung eines Leipziger Pelzhändlers für das schönste Schaufenster der Stadt aus den achtziger Jahren rettete Thea de Zeeuw aus einer Mülltonne. Für einen Trabant ist noch kein Platz im Museum, ein Modellauto muß bisher genügen.

Mehr als hundert Menschen kamen beim letzten Tag der offenen Tür nach Monnickendam. Als der Film »Good Bye, Lenin!« im vergangenen November in Rotterdam uraufgeführt wurde, sahen viele Niederländer ihre stark idealisierte Sicht auf die DDR bestätigt. Ein netter Staat sei das doch gewesen, hörte man immer wieder, gerade die Jungen sähen sie, kritisiert de Zeeuw, als ein »gemütliches Reservat mit Riesenspaß beim Schlangestehen. «Der niederländische Hang zum Kompromiß, der alle Kanten weich schleifen kann, trägt zu dieser amüsiert-ironischen Perspektive bei. Dazu kommt die aktuelle Retro-Mode. Da in der DDR das Design der sechziger und siebziger Jahre bis zuletzt überlebte, sind manche Geräte noch fast fabriksneu. Und so fragen die Besucher des DDR-Museums schon mal angesichts des Radios in rotem Plastik, wo man so etwas noch kaufen kann.

Mit historischer Erkenntnis hat das nichts zu tun, aber die Retro-Welle kann zu ihr führen. Der Osten insgesamt ist chic in den Niederlanden, und auch die jüngst erworbene Beobachtungskamera der Stasi wird daran wenig ändern. Ein westdeutsches Produkt übrigens, das umgebaut worden war für die Verwendung in unauffälligen Aktentaschen und Starenkästen. Berlins Rauheit, selbst die schweren Probleme mit Finanzen und Wirtschaft erscheinen in den Niederlanden wie das leben selbst: »Wir haben doch fast keine dramatische Geschichte«, sagt de Zeeuw. Da erscheinen die zweifellos dramatischen Zeitläufte Deutschlands und Berlins attraktiv. Auch wenn die DDR als Staat den de Zeeuws keineswegs sympathisch war: Thea de Zeeuw erinnert sich an die unheimlichen Grenzkontrollen, daran, wie sie gefühlt habe, daß die Menschen Angst hatten: »Sie haben nicht sagen können, was sie wollten. «Zwar sprach eine niederländische Ministerin einmal von der »historischen Notwendigkeit« der Mauer. Doch Friso de Zeeuw ist sich sicher: Nur wenige Holländer sahen die DDR als den besseren deutschen Staat an, auch wenn weite Übereinstimmung herrschte bei ihrer politischen Anerkennung zu Beginn der siebziger Jahre: »Das war eine Sache des Pragmatismus.

«An der Wand des kleinen Museums hängt ein Titelblatt der DDR-Illustrierten »NBI« mit Erich Honecker auf einem Ausflugsschiff in Amsterdam. 1987 kam er zum Staatsbesuch, einer der Höhepunkte der Anerkennungspolitik. Dennoch mußte er sich heftige Klagen anhören wegen der Menschenrechtslage in der DDR. Und selbst mit den Kommunisten kam Honecker nicht aus. Denn die KP der Niederlande befand sich auf dem besten Weg zu einer linken demokratischen Partei, die Kluft zur SED war kaum zu überwinden. Die Stimmung beim Treffen im Kurhaus von Scheveningen war wohl frostig damals. Die Distanz wurde deutlich beim Gastgeschenk, das wurde von den Mitgliedern des ZK im Zug nach Amsterdam ausgepackt, eine mittelgroße Bronzestatue von Karl Marx. Hände auf dem Rücken, oberlehrerhaft, steif. Offenbar hatte niemand den Staatsratsvorsitzenden informiert, daß Personenkult in den egalitären Niederlanden absolut tabu ist, allenfalls die Königin ausgenommen. Kaum jemanden interessierte also Marx in Bronze, jahrelang diente er als eine Art Gartenzwerg auf dem Balkon eines der damaligen ZK-Mitglieder. Jetzt steht die Statue dort nur noch im Sommer, im Winter aber in Monnickendam.

Kontakt: www.ddr-museum.nl